Zusammen mit den Bergführerkollegen Vitus Auer und Stefan Larcher planten wir eine Expedition nach Nepal. Wir brachen als Zweckgemeinschaft auf und kamen als Freunde zurück.
Am 09.10.2018 startete unsere lange geplante Expedition. Kurz vor der Abreise erhielten wir die schlechte Nachricht, dass wir die Zustiegsgenehmigung von der Ostseite über Samdo nicht bekommen würden. Dies war die erste Lehre der Expedition: Es kommt immer anders als geplant! Die zweite Lehre lautete: Akzeptieren und sofort neu orientieren! Der Flieger landete am 10.10.2018 in Kathmandu, und wir in einer anderen Welt.
Die ersten zwei Tage verbrachten wir in der Hauptstadt und überwanden den bürokratischen Berg. So sehenswert und aufregend Kathmandu auch ist, so waren wir doch froh diese staubige Stadt wieder verlassen zu können. Am 13.10 startete unsere sechstägige Anreise zum Basislager (BC) auf 4850m. Der Zustieg verlief problemlos, allerdings stimmte es mich nachdenklich, was für ein Aufwand betrieben werden musste, damit wir auf einen Berg steigen konnten. Wir benötigten neun Mulis, einen Eseltreiber, zwei Träger, darunter der Küchenjunge und noch einen Koch, welcher auch gleichzeitig unser Climbingsherpa auf dem Papier war. Ein Climbingsherpa ist gesetzlich vorgeschrieben sowie ein/e Verbindungsoffizier/in.
Ist es wirklich gerechtfertigt so einen Aufwand zur reinen Selbstverwirklichung zu betreiben? – Ja, denn der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle für Nepal! Selbstverwirklichung ist ein Privileg. Nicht nur ein materielles sondern auch ein gesellschaftliches und soziales.
Zur Höhenanpassung verbrachten wir insgesamt vier Nächte zwischen 5300m und 6200m. Die Akklimatisationstouren waren auch gleichzeitig Erkundungstouren. Dabei stach uns der markante Westgrat mit der „Sichel“, welche über einen noch unbestiegenen 6000er führt, ins Auge. Zurück im Base Camp erreichte uns die Nachricht, dass in zwei Tagen der Jetstream kommen und sich für mehrere Tage halten sollte. Eigentlich hatten wir für einen Besteigungsversuch drei bis vier Tage eingeplant.
Wieder kam es anders als geplant. Wir brauchten einen neuen Plan und dieser lautete: Morgen aufbrechen, Lager unter der Sichel 6180m, dort Zelt stehen lassen, mit leichtem Gepäck versuchen soweit wie möglich zu steigen, und den gleichen Weg wieder zurück. Um 07:00 ging es los, über unendliches Geröll des Pangri Gletschers zum Himjung Gletscher. Wir passierten hausgroße Spalten und errichteten unser Lager wie geplant auf 6180m um 17:00. Nun war Schneeschmelzen angesagt, etwas ausruhen und um 23:00 starteten wir unseren Aufstieg.
Wir harmonierten perfekt als Team und ergänzten uns durch unsere Fähigkeiten. Zu meinen Stärken gehörte die Ausdauer und so übernahm ich die Spurarbeit. Die Verhältnisse waren nahezu ideal, feinster Trittfirn. Der erste Abschnitt war eine 50° Flanke mit einer Randspalte die mit etwas Gewühle problemlos zu überwinden war. Oben am Übergang zum Westgrat war der Ansatz einer Wechte welchen ich erst einmal abgraben musste, um sie überwinden zu können.
Dann kam die „Sichel“, eine herrliche Firnflanke welche die Waden zum Glühen brachte. Am Ende der „Sichel“ ging es über einen überwechteten Grat, welchen wir auf der exponierten Südseite passierten, weiter zu dem noch unbestiegenen P 6609m. Von dort stiegen wir südlich des Grates ab, bis wir an einer kombinierten Passage anlangten. Auf der Südseite war der Firn zum Teil abgerissen. Die Nordseite war wegen der Wechte unerreichbar.
Schwindelerregend querten wir auf den abgerissenen Firnbändern, welche nur am Fels angefroren waren, hinüber, bis nur noch ein 50 cm breites Band übrig war. Ich traute mich erst nicht drüber und suchte direkt am Grat, der an dieser Stelle felsig war, nach einer Lösung, Währenddessen hatte aber Stefan schon einige Hooks zum Einhalten oberhalb des dünnen Bandes gefunden und meisterte kühn diese Passage. Wir folgten ihm und waren kurzerhand in der Scharte vor dem Gipfelaufschwung. Wir legten eine Pause ein und verkrochen uns im Zweimannbiwaksack. Das Schneeschmelzen verschoben wir auf den Gipfel, der uns irrtümlicherweise sehr nahe erschien.
Der Wind nahm deutlich zu und die Kälte kroch durch die dicke Kleidung. Es war Zeit zum Weitergehen. Ich spurte weiter. Der Grat steilte auf 55° auf. Nochmals eine Spalte die im Stil der Wühlmaus überwunden wurde. Der Grat erschien endlos. Ich hatte noch nie so schnaufen müssen. Diese Art der Erschöpfung, diese Müdigkeit waren mir unbekannt. Vitus klagte über taube Zehen und wir suchten kurz unterhalb des Gipfels einen windstillen Platz, um seine Zehen aufzuwärmen. Wir ertappten uns dabei, dass wir während der Rast kurzzeitig eingeschlafen waren und hatten komischerweise alle das Gefühl, dass wir nicht allein waren. Wir schmolzen Schnee und genossen die atemberaubende Aussicht auf den Nemjung, Panbari, Gyaji Kang, Manaslu und die ursprünglich geplante Ostseite, bevor wir die letzten Meter zum Gipfel aufstiegen. Diesen erreichten wir um 09:00.
Wir fielen uns in die Arme und beglückwünschten uns. Vitus hatte die Idee, dass es doch technisch einfacher wäre über den Nordgrat abzusteigen. Ich dachte mir, dann hätten wir auch eine Überschreitung gemacht und auch Stefan war einverstanden. So stiegen wir über den unbekannten Nordgrat ab. Im Blick der Himlung und die Weite Chinas. Der Abstieg erwies sich als mühsamer als gedacht. Zuerst ging es recht einfach und angenehm über den Grat, dann nicht enden wollendes Queren auf rund 7000m in der Westflanke bis zum Rücken des Gyorbu Himal, über welchen wir gen Westen abstiegen. Auf 6500m legten wir wieder eine ausgedehnte Pause mit Mittagsschlaf ein. Wir wussten ja noch nicht, was uns noch bevorstand. Wir nahmen an, der Übergang vom südlichen Himlung Gletscher zum Himjung Gletscher löse sich schön auf. Pustekuchen!
Über Firn und Geröll unten angekommen ahnte ich schon, dass es problematisch werden würde. Ich gab mir die Schuld, da ich wieder einmal voraus gerannt war. Ich kundschaftete schnell die brüchige Rinne aus, von welcher ich dachte, dass sie uns nach unten führen könnte, kam aber nach einigen Minuten wieder hochgekrochen, da sie ca. 100m zum Teil überhängend abbrach. Da wurde mir die große Teamkompetenz erst richtig bewusst. Es gab keinerlei Vorwürfe, sondern es wurde gleich nach einer Lösung gesucht. Viele Möglichkeiten gab es nicht. Über den Fels ging es nicht, dann blieb nur noch unter den wirklich bedrohlichen Seracs durch zu queren oder wieder aufzusteigen um dann ins Lager 2 und auf die „Piste“ vom Himlung Normalweg zu traversieren.
Wir entschieden uns vorerst für Zweiteres. Uns wurde aber schnell bewusst wie erschöpft wir waren und wie spät es schon war. Also entschieden wir uns für die Risikovariante. Ich bot mich an mit dem „Escaper“ und dem 60m Kevlarseil am anderen Ende des Eisbruchs nach einer Abseilstelle zu suchen. Ich würde ihnen ein Kommando zum Nachkommen geben, wenn ich es eingerichtet hätte. Als ich unter den Seracs loslief, entdeckte ich jedoch ein Bändersystem, welches zum Himjung Gletscher zu führen schien und versuchte es. Die Entscheidung erwies sich als richtig. Ich gab Stefan und Vitus das Zeichen nachzukommen. Wir waren endlos erleichtert, dass wir diese gefährliche Passage heil überstanden hatten. Nun standen uns „nur“ noch die 200 Hm Gegenanstieg zu unserem Lager bevor. Vitus erklärte sich bereit, die Spurarbeit zu übernehmen. Um 20:00 erreichten wir unser Lager und fielen todmüde in den Schlaf.
Mit dieser Expedition ging ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Mit dem Erreichen dieses Ziels entstand ein kurzer Moment der Leere. Das Erlebte wird zur Erinnerung. Ich schaue voraus und fange wieder an zu träumen.
Weitere Expeditionsberichte
Expeditionsbericht Pik Lenin 7134m
https://www.alpinewelten.com/news-reiseberichte/pik-lenin-expedition-2019
Expeditionsbericht Alpamayo 5947m und Chopicalqui 6354m:
https://www.alpinewelten.com/news-reiseberichte/alpamayo-huascaran-expedition-2017